[Dies ist ein Gastbeitrag von Pascal Keller. Mehr Infos über den Autor findest du weiter unten.]
Ein kurzes Gespräch. Dann war es vorbei. Nach sechs Jahren. Eine kleine Welt brach für sie zusammen. Ihre Hände zitterten. Heiße Tränen rollten über ihre Wangen. So beschrieb Lena den Moment, als sich ihr Freund Christoph von ihr trennte.
Er fühle es nicht mehr, er wolle etwas anderes ausprobieren, frei sein – so begründete Christoph die Trennung, mit der Lena nie gerechnet hatte. Für sie war er der Mann, den sie einmal heiraten würde. Der Vater ihrer Kinder. Der Beschützer ihrer Träume. Doch nun war ihr größter Traum, der Traum vom Liebesglück, geplatzt wie eine Seifenblase. In weniger als 20 Minuten hatte Christoph die gemeinsame Zukunft für beendet erklärt. „Ich habe noch versucht ihn umzustimmen, aber er war sich absolut sicher, dass die Trennung die beste Entscheidung für uns beide sei“, erzählte mir Lena und weinte bitterlich.
Ich schwieg und nahm sie in den Arm. Mehr konnte ich nicht tun.
Beziehungsende: Aua!
Meine Mutter würde sagen: Trennungen tun immer scheiße weh. Egal, ob man verlassen wurde oder selbst die Reißleine gezogen hat: Aua. Der Magen krampft, das Herz pocht, die Augen brennen. Die Welt wirkt mit einem Schlag unendlich grau, so grau wie fahle Asche auf einem grauen Bordstein. Meistens wissen wir in solchen Situationen, was zu tun ist: Freunde um uns scharen, Gespräche führen, gut zu uns sein. Irgendwann geht es schon wieder. Doch auf das Ende einer Beziehung reagiert jeder Mensch anders.
Lena vergrub sich wochenlang in ihrem Kummer, mein Freund Thomas packte seine Sachen und ging reisen und mein Studienkollege Stefan taumelte jedes Wochenende besoffen auf einer Studentenparty herum. Diese drei Möglichkeiten kennen die meisten. Es gibt allerdings noch eine andere, weitaus bequemere Möglichkeit, um seine Trennung zu verarbeiten: Man sucht sich einen Übergangslover, praktisch einen persönlichen Seelentröster, der einem den Übergang von der einen in die nächste Beziehung erleichtert.
Wenn ich mich so in meinem Bekanntenkreis umschaue, dann stelle ich fest, dass es gerade bei meinen Kumpels eine starke Tendenz dazu gibt, diese letzte Möglichkeit wahrzunehmen. Da wurden in den sozialen Netzwerken gerade erst sorgfältig alle Pärchenbilder gelöscht und das Zimmer von Erinnerungsschnipseln befreit und zack; zwei Monate später ist eine neue Perle am Start. So wie zum Beispiel bei meinem Freund Jonas, der in den letzten zwei Jahren vier Beziehungen hatte. Das zeigte mir zumindest mein Facebook-Newsfeed an: „Jonas ist jetzt in einer Beziehung mit Carolin“, „Jonas ist jetzt in einer Beziehung mit Julia“, „Jonas ist jetzt in einer Beziehung mit Hannah“, „Jonas ist jetzt in einer Beziehung mit Tina“.
Manchmal, wenn ich Jonas‘ Beziehungssupdates lese, frage ich mich, ob der Facebook-Algorithmus genauso verwirrt ist von diesem Beziehungszickzack wie ich. Doch ich sollte den Mund nicht zu voll nehmen. Denn ich habe es auch schon einmal getan – also die Sache mit dem Übergangslover.
Nächste Station: Übergangsbeziehung
Meine Ex-Freundin Leonie und ich hatten uns gerade nach zwei Jahren Beziehung getrennt, als mir mein Kumpel Christian einige Wochen später seine Kommilitonin Isabel vorstellte. Ich fand sie auf Anhieb nett, sympathisch und gutaussehend. Und sie mich offensichtlich auch, denn am Ende des Abends gab sie mir ihre Nummer. Zwei Tage später verabredeten wir uns zu einem Kaffee am Mannheimer Paradeplatz.
Für unser erstes Date hatte Isabel sich in Schale geworfen. Sie kam in einem kurzen schwarzen Kleid und halbhohen Schuhen. Ein Klassiker-Outfit, das bei 99 Prozent aller Männer zieht. So auch bei mir.
Wir tranken einen Latte Macchiato und redeten bei entspannter Atmosphäre über unsere letzten Monate. Mir gefiel ihr Lachen und ihr gefiel meine draufgängerische Art. Wir lagen zwar nicht auf der gleichen Wellenlänge, verfehlten uns aber nur knapp. Am Ende des Nachmittags knutschen wir stundenlang bei bestem Sonnenschein auf der Neckarwiese.
Es war ein perfektes erstes Date – zumindest aus meiner Sicht. Und so fragte ich sie nach einem zweiten Date. „Liebend gerne“, antwortete sie damals auf meine WhatsApp-Nachricht. Drei Tage später trafen wir uns wieder. Und dann wieder und wieder. Nach dem vierten Date landeten wir schließlich in der Kiste. Der Sex war leidenschaftlich, leicht und unbeschwert. Isabel war genau die Frau, die ich gesucht hatte. Sie gab mir ein Gefühl von Nähe, ohne mich zu vereinnahmen. Sie war liebevoll, ohne es zu übertreiben.
In den Wochen darauf entwickelte sich immer mehr zwischen uns. Wir trafen uns jetzt beinahe täglich. Entweder schlief sie bei mir in Mannheim oder ich bei ihr in Heidelberg. Wir gingen zusammen ins Kino, auf Partys und zum Brunchen. Wir telefonierten abends und schrieben uns morgens die obligatorische „Guten Morgen“-Nachricht. Spätestens als ich sonntags zum Mittagessen bei ihren Eltern eingeladen war, hätte ich merken müssen, dass das zwischen uns für sie weitaus mehr war, als nur eine Affäre. Aber ich merkte es nicht. Oder vielleicht wollte ich es einfach auch nicht merken, denn das hätte mich ja zum Handeln gezwungen.
Egoistische Liebe, mehr nicht
Eines Abends holte mich meine Mutter in Mannheim ab. Auf der Heimfahrt kamen wir ins Gespräch und ich begann ihr von der ganzen Sache mit Isabel zu erzählen. Ich wollte ihre Meinung hören, schließlich war meine Mutter schon immer die beste Ratgeberin in den wichtigen Liebesfragen gewesen. Sie hörte sich bereitwillig alles an und sagte dann mit sanfter Stimme: „Pascal, du stürzt dich da in etwas, für das du noch nicht bereit bist. Du hast dich vor zwei Monaten von deiner Freundin getrennt. Wie kannst du dich da schon wieder auf eine neue Frau einlassen? Nimm dir die Zeit, um deine alte Beziehung zu verarbeiten und dein Leben neu zu sortieren. Ich glaube, es würde dir gut tun.“
Am Ende unseres Gespräches wurde mir klar: Ich hatte Scheiße gebaut. Richtige Scheiße. Ich war auf dem Weg in eine Beziehung, die nichts mit Liebe zu tun hatte. Ich mochte zwar das Gefühl, das Isabel mir gab, wenn wir zusammen waren, aber ich war weit davon weg, verliebt zu sein. Ich war nur verliebt in den Gedanken, verliebt zu sein. Ich benutzte Isabel, um das Gefühl von Nähe zu spüren. Es hatte nie etwas mit ihr zu tun. Es ging nur um mich.
Als mir das klar wurde, wusste ich, was zu tun war: Ich rief sie an und beendete unsere Affäre. Sie fing an zu weinen, als ich sagte, dass es zwischen uns vorbei sei. Ich versuchte, ihr alles zu erklären, doch sie war gar nicht mehr in der Lage, zuzuhören. Am Ende meiner ausufernden Erklärungsversuche nannte sie mich ein „verdammtes Arschloch“ und legte unvermittelt auf. Danach sahen wir uns nicht mehr wieder.
Die Beziehung als Flucht vor sich selbst
„Liebe und Beziehung sind wie Geld und Glück: Die beiden Dinge können miteinander gehen, müssen sie aber nicht.“ Diesen Spruch habe ich vor kurzem auf Instagram gelesen. Er erinnerte mich an Isabel und daran, dass Liebe nicht der einzige Grund ist, um eine Beziehung einzugehen. Manchmal reicht auch einfach das Bedürfnis nach Zuneigung, Bestätigung, Nähe, Geborgenheit, Zärtlichkeit oder Sex. Allzu oft ist der Drang nach diesen Gefühlen so stark, dass wir uns, sobald wir einem Menschen begegnen, der sie uns auch nur ansatzweise geben kann, Hals über Kopf darauf einlassen – ob er zu uns passt oder nicht, ist dabei erst einmal unwichtig. Hauptsache, wir stillen unseren Durst.
Ich kenne viele Männer, auch aus meinem Freundeskreis, die Beziehungen eingehen, nur damit sie regelmäßig Zuneigung und Anerkennung bekommen. Genauso habe ich schon viele Frauen kennengelernt, die sich auf Beziehungen einlassen, weil sie unbedingt Nähe und Zärtlichkeit brauchen. So entstehen ungesunde Beziehungen. Sie basieren nicht auf Liebe und dem Wunsch des Zusammenseins, sondern auf einem Bedürfnis und dem Gefühl, das etwas Wichtiges fehlt. Wir werden von unserer eigenen Abhängigkeit und Sehnsucht dermaßen überrannt, dass wir falls nötig, sogar Eigenschaften auf den anderen Menschen projizieren, die in Wirklichkeit gar nicht zutreffen. Plötzlich wird – wie im Falle meines Kumpels Johannes – aus einer Zicke mit Stimmungsschwankungen „eine aufregende Frau, mit einem wunderbar vielfältigen Charakter.“ Aha.
Nach empirischer Analyse meiner Gespräche mit Bekannten und Freunden, habe ich festgestellt, dass das Alleinsein nach dem Ende einer Beziehung für viele das Schlimmste ist, was sie sich vorstellen können. „Denn dann muss man sich ja alleine mit dem scheiß Liebeskummer rumschlagen“, begründete es eine gute Freundin neulich so passend.
Und ja, ich gebe es zu: Es ist eine unkomfortable Situation, nach einer Trennung alleine zu sein, vor allem wenn man bedenkt, dass Liebeskummer teilweise herzinfarktartige Schmerzen mit sich bringt. Eine neue Beziehung, die Schmerzen und Kummer schnell vergessen lässt, scheint da der leichte Ausweg zu sein. Dabei vergessen viele, dass gerade die Phase des Alleinseins nach einer Trennung besonders entscheidend für unsere persönliche Entwicklung als Liebespartner ist.
Nach dem Schock brauchen wir Zeit und Raum, um uns, ohne den Einfluss eines anderen Partners, mit den Trennungsgründen auseinanderzusetzen. Dadurch werden unsere Lebensthemen sichtbar und erst dann können Liebeswunden heilen, ohne chronisch zu werden – denn die Wunden des Herzens heilen ähnlich wie die Wunden des Körpers: in biologischen Zeiteinheiten. Wir können einem gebrochenen Knochen nicht vorschreiben, wie lange seine Heilung dauern soll. Das müssen wir der Natur überlassen. Der Prozess kann nicht beschleunigt werden. Was der Knochen von uns verlangt, ist eine Zeit der Ruhe. Dasselbe gilt für emotionale Wunden: sie verlangen, dass wir ihnen Zeit geben, zu heilen.
Und was bleibt?
Man sagt ja, dass die Enttäuschungen einer gescheiterten Beziehung oftmals der Ausgangspunkt für die nächste gelungene sind. Die Annahme dahinter ist, dass die Fehler, die wir in der vorherigen Beziehung gemacht haben, uns eine Lehre für die Zukunft sind. Oder um es mit Andrew G. Marshall zu sagen: „Die größten Lektionen warten oft in den dunkelsten Stunden auf uns.“
Der britische Paartherapeut schreibt außerdem in seinem Buch „Kann ich dir jemals wieder vertrauen?“, dass es Getrennten im Allgemeinen leichter fällt, Liebe zu finden, als jemandem, der noch nie eine Beziehung hatte. Denn immerhin haben Getrennte eine Menge wichtiger Beziehungsfertigkeiten gelernt – und das kann die allerbeste Voraussetzung für die nächste feste Partnerschaft sein.
Genau das erzählte ich Lena, als ich sie am Wochenende wiedertraf. Sie sah besser aus. Ihre Augen glänzten wieder. Ich hatte ihr ein „Trennungssurvival-Packet“ bestehend aus einer Flasche Wein, zwei Tafeln Schokolade und einem Buch mitgebracht. Auf das Buch hatte ich einen Post-it mit einem meiner Lieblingssprüche geklebt: Wenn es in der Tragödie, einen geliebten Menschen zu verlieren, einen Trost gibt, dann liegt er in der unerlässlichen Hoffnung, dass es so vielleicht besser war.
Sie schwieg und nahm mich in den Arm.
Mehr konnte sie nicht tun.
Über den Autor:
Pascal Keller, Jahrgang 1992, ist Autor, Speaker und Gründer von www.PascalKeller.com. Vor knapp einer Woche hat er sein erstes Buch Fast Erwachsen – Über die Suche nach Liebe, Sinn und einem verdammten Job veröffentlicht, das innerhalb kürzester Zeit hundertfach verkauft wurde. Pascal glaubt daran, dass in jedem das Potential für außergewöhnliche Dinge schlummert und möchte mit seinen persönlichen Geschichten jungen Erwachsenen dazu ermutigen, ihren eigenen Weg zu finden und zu gehen.
4 Comments
Was für ein schöner Post ! 🙂
Liebste Grüße Lea
http://www.estilo-bylea.com
12. November 2017 at 15:58Hallo liebe Lea, ich finde den Post auch sehr schön.
12. November 2017 at 17:33Da hat Pascal schon einen tollen Text geschrieben. 🙂
Wünsche dir einen schönen Abend <3
Liebe Grüße
Marina
Großartiger Post, toll geschrieben!
16. November 2017 at 12:35Hut ab vor so viel Offenheit!
Liebe Colli,
16. November 2017 at 15:14ich finde den Beitrag von Pascal auch sehr klasse!
Danke für dein Feedback 🙂
Liebe Grüße
Marina